TEST BMW 635 CSi

BAYERISCHER LÖWE

Sportliches Coupé der Ovberklasse mit 3,5 Liter-Motor.

(Auto motor und sport 20/1978. Dirk-Michael Conradt. D.)

Zehnmal taucht die „Sportlichkeit“ im knapp gehaltenen Presse-Bulletin zum neuen BMW-Flaggschiff 635 CSi auf. Weitere sechsmal wird auf den Motorsport als Vater des bayerischen Spitzen-Modells hingewiesen. Kein Zweifel, den Bayerischen Motoren Werken in München ist es ernst mit der wiederentdeckten Sportlichkeit.

   Dabei stand das Motorsport-Engagement der Bayern gerade in den vergangenen Jahren im umgekehrten Verhältnis zur erklärten Entwicklungs-Philosophie bei den Straßen-Modellen. Während Rennleiter Jochen Neerpasch mit seiner BMW-Tochtergesellschaft BMW Motorsport GmbH auf Expansionskurs ging, suchten die BMW-Serienkonstrukteure ihr Heil und Marktanteile mit Blickrichtung Stuttgart-Untertürkheim: „Komfort“ hieß deshalb die BMW-Devise, dem bayerischen Löwen wurde das Brüllen untersagt.

   So erhielten sich die Münchner zwar einerseits ihr dynamisches Jungmanager-Image, wurden dem indes mit ihren Produkten nicht mehr vorbahltlos gerecht. Das soll sich ändern. Sportliche Fahrwerks-Abstimmungen verheißen schon bei den gängigen Typen vom 90 PS (66 kW) starken 316 bis hin zum 200 PS-633 CSi zumindest gegen Aufpreis „mehr Fahrsicherheit in Grenzsituationen“.

   Und der BMW 635 CSi, wenngleich „kein völlig neues Auto – neu im Sinne von neu konzipiert“ (Pressetext), fußt motortechnisch sogar direkt im Rennsport. Sein Motorblock ist nämlich mit dem des 3,5 Liter-Renntriebwerkes (Werksbezeichnung M 49) identisch, welches mit Vierventil-Zylinderkopf als Saugmotor 485 PS (357 kW), mit Turbolader über 800 PS (588 kW) leistet. Eingesetzt wurde dieses Kraftwerk beispielsweise in jenen Gruppe 5-Coupés [Gruppe 5: Spezial-Produktionswagen], die – von renommierten Künstlern wie Alexander Calder oder Frank Stella werbewirksam lackiert – 1975 und 1976 bei den 24 Stunden von Le Mans mitfuhren.

   Damit unterscheidet sich das 635-Aggregat (Werksbezeichnung M 90) in den Maßen vom 243 cm³ kleinvolumigeren Motor des weiterhin angebotenen 633 CSi. Während der Hub gegenüber diesem um zwei Millimeter auf 84 mm verringert wurde, wuchs der Zylinder-Durchmesser um 4,4 mm auf nunmehr 93,4mm.

   Im konventionellen Sechszylinder-Motorblock, für die Dreiliter- und 3,3 Liter-Versionen gegenüber dem Basis-2,5 Liter bereits einmal um drei Millimeter aufgebohrt und damit ausgereizt, hätte die üppig dimensionierten Bohrung für den 3,5-Liter freilich keinen Platz gefunden. So behalfen sich ehedem schon die BMW-Motorsportler mit zusammengegossenen Zylinderaufbüchsen, was eine zusätzliche Hubraumerweiterung möglich machte.

   Für eine bessere Füllung der erweiterten Zylinder sorgen vergrößerte Ventilhübe, während die Nockenwelle im Sinne besserer Laufkultur „milder“ ausgelegt wurde: Statt der 272 Gard-Welle des 633 CSi kommt im 635 CSi eine Nockenwelle mit 264 Grad zum Einbau.

   Eine abermals überarbeitete Brennraum-Geometrie soll im übrigen den Wirkungsgrad des Sechszylinders verbessern, während um acht auf 50 Millimeter erweiterte Auspuff-Querschnitte durch geringeren gegendruck dem höheren Abgas-Ausschub des augenblicklich stärksten BMW-Triebwerkes gerecht werden.

   Mit 218 PS (160 kW) fiel der Leistungszuwachs gegenüber dem 200 PS (147 kW) starken 3,3 Liter-Motor des 633 CSi gleichwohl nicht ganz so üppig aus, wie dies BMW-Fans angesichts der 240 PS (176 kW) starken Konkurrenz von Porsche und Mercedes erhofft hatten. Wesentlicher als die erzielte Höchstleistung erscheint indes die gebotene Leistungscharakteristik des Bayern. So konnte dessen Nenndrehzahl [Drehzahl, bei der die maximale Leistung entwickelt wird] um 300/min auf 5200/min reduziert werden, das mit 310 Nm um 20 Nm gesteigerte maximale Drehmoment steht gleichfalls bei niedriger Drehzahl zur Verfügung.

   Dadurch erfahren die positiven Merkmale, die schon das 633-Aggregat auszeichnen, eine weitere Steigerung. Selbst aus Keller-Drehzahlen geht der Sechszylinder des 635 so kraftvoll ans Werk, als gälte es, das Schaltgetriebe einzusparen.

   In der Tat beschleunigt das 1556 kg schwere Coupé beispielsweise seinem 36 kg leichteren und fast 1000 cm³ hubraumgewaltigeren Zuffenhauser Konkurrenten Porsche 928 im fünften Gang aus 40 km/h auf und davon. Schon nach 38,9 s ist der Bayer dann auf Tempo 180, während sich der Porsche dazu 40,4 s läßt.

   Auch die Sprintzeiten aus dem Stand dokumentieren im oberen Geschwindigkeitsbereich Vorteile für den BMW (siehe Zum Vergleich).

   Allerdings mußte der bereits knapp unter 6000/min abregelnde Drehzahlbegrenzer zur Erzielung solcher Werte, wie auch bei der Messung der Höchstgeschwindigkeit von 227,8 km/h, außer Betrieb gesetzt werden. Denn ein Leistungsabfall ist erst bei Drehzahlen über 6200/min zu beobachten.

   „Wir wollen“, erklärt Waldemar Jende, Leiter der BMW-Motorenkonstruktion, das niedrig gesetzte Drehzahl-Limit, „kein Sicherheits-Risiko eingehen, denn die schweren 93,4 mm-Kolben setzen natürlich größere Massenkräfte frei.“

   Auf die Drehfreude und Laufkultur haben die gewichtigeren bewegten Teile freilich keinen spürbaren Einfluß. Der 3,5-Liter stürmt im Gegenteil noch agiler und ebenso turbinenhaft-seidig zum roten Bereich wie seine hubraumschwächeren Kollegen. Und mit seinem jederzeit gebotenen „Biß“ erweckt das schnelle Coupé gar Erinnerungen an die wegen ihres Temperaments fast schon legendären Typen 3.0 Si und CSi, die anfangs der siebziger Jahre das BMW-Leistungsimage entscheidend prägten.

   Obwohl angesichts der überlegenen Elastizität des 635-Motors ein Fünfgang-Getriebe zum durchaus entbehrlichen Luxus zählt, freuen sich Aktivisten über das umfangreiche gebot des serienmäßigen Getrag-Räderwerkes. Es erweist sich nähmlich als perfekt auf den Drehmoment-Verlauf des Sechszylinders abgestimmt.

   Fahrnaturen kommt jedoch nicht nur die begeisternde Motor-Getriebe-Einheit des neuen BMW entgegen, sondern fast gleichermaßen das auf den sportlichen Charakter zugeschnittene 635-Fahrwerk. Straffer gedämpft, mit verstärkten Querstabilisatoren, Wankneigungsanschlägen und geringfügig verbreiterten Felgen (6,5 Zoll statt 6 Zoll im 633 CSi) gerüstet, offeriert der neue 635 CSi Qualitäten, die bei den Münchern in Vergessenheit geraten schienen.

   Ohne im Geradeauslauf nervös zu wirken, giert das BMW Coupé förmlich nach Kurvenpassagen und vermittelt dabei den Eindruck geradezu kleinwagenmäßiger Handlichkeit. Dies erklärt sich aus dem eindeutig übersteuernd definierten Eigenlenk-Verhalten des 635.

   Dennoch wird der BMW nicht zur unberechenbaren Heckschleuder. Vielmehr läßt sich seine ausgeprägte Kurvenwilligkeit durch leichtes Zurücknehmen des Lenkeinschlages fahrspaßfördernd parieren. Und man ertappt sich deshalb auf wenig belebten Landstraßen schon bald dabei, das Coupé nach alter BMW-Sitte „fliegen“ zu lassen. Ein vergnügliches Unternehmen, das von der präzisen und dennoch leichtgängigen Servolenkung nachhaltig gefördert wird.

   Einzig in sehr engen Ecken bewahrte sich auch der 635 CSi eine BMW-Untugend: Obwohl das serienmäßig gelieferte Differential eine 25prozentige Sperre hat, neigt das kurveninnere Hinterrad zu kräftezehrendem Durchdrehen und legt damit den Zukauf der gegen Aufpreis lieferbaren 40 Prozent-Sperre nahe.

   Einschränkungen gilt es zudem in Sachen Fahrkomfort zu machen. Während einseitig überfahrene kurze Unebenheiten befriedigend absorbiert werden und auch der Schnellfahr-Komfort erträglich ist, verdaut das straffe 635-Fahrwerk Querrillen nur unzulänglich. Die Passagiere werden energisch durchgeschüttelt und sind deshalb froh, daß ihnen die auf Wunsch serienmäßigen Recaro-Sessel so guten Halt bieten.

   Diese sorgen nämlich nicht nur für Seitenhalt, Schenkel- und Schulterunterstützung, sondern auch für jenes Maß an Eigendämpfung, welches so geartete Fahrwerks-Unzugänglichkeiten etwas zu kaschieren vermag.

   Wie die beiden Parallel-Modelle 630 CS und 633 CSi bietet im übrigen auch der 635 CSi eine vorzügliche fahrgerechte Sitzposition, ausreichende, dem Porsche 928 zumindest im Fond überlegene Platzverhältnisse und eine komplette Serienausstattung.

   Das Mehr an Leistung und Fahrspaß sowie die durch Spoiler an Front und Heck sportlich aufgewertete Karosserie des 635 CSi läßt sich BMW gegenüber dem 633 CSi mit angemessenen 2900 Mark Aufpreis honorieren. Daß der 635 CSi damit fast 50.000 Mark kostet, muß nicht von Nachteil sein, zumal die Konkurrenz durchweg nochmals teurer ist und Preisgünstigem in dieser Klasse schnell der wenig verkaufsfördernde Ruch des „Billigen“ anhaftet.

   Immerhin blickte BMW bei der Entwicklung seines neuen Flaggschiffes nicht mehr gebannt nach Stuttgart-Untertürkheim und fand deshalb zurück zur angestammten Sportlichkeit, die nicht nur in der Vorstellung der Käufer existiert. Der 635 CSi zeigt nachdrücklich, daß dieses Prädikat BMW außerordentlich gut tut: Der bayerische Löwe brüllt wieder.

 

ZUM VERGLEICH

 

BMW 635 CSi

BMW 633 CSi

Porsche 928

Mercedes-Benz 450 SLC 5.0

Jaguar XJ-S

Hubraum (cm³)

3453

3210

4474

4990

5343

Leistung (PS/U/min)

218/5200

200/5500

240/5250

240/5000

287/5750

Testverbrauch (L/100 km)

17,6 S

16,0 S

20,0 N

18,2 S

25,0 S

Preis (1978) DM

49 400

46 500

58 800

62 272

57 413

0 -   60 km/h

3,7

3,9

3,5

4,8

4,5

0 -   80 km/h

5,7

5,8

5,5

6,9

6,4

0 – 100 km/h

7,8

8,0

7,6

9,8

8,4

0 – 120 km/h

10,8

11,4

10,5

12,8

11,3

0 – 140 km/h

14,7

15,5

14,0

16,1

14,5

0  - 160 km/h

19,1

21,0

19,2

20,9

18,8

0 – 180 km/h

26,3

29,3

25,8

28,3

25,3

0 – 200 km/h

36,5

-

38,1

38,8

34,4

1 km mit stehendem Start

28,4

29,0

28,2

29,6

28,6

Höchst-
geschwindigkeit (km/h)

227,8

215,6

240,6

232,3

238,4